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Burgdorf, Schweiz
AutorenbildYvonne Friedli

Zwischen den Jahren oder die Altjahrswoche

Aktualisiert: 10. Apr. 2021




Der Adventskalender ist leer, die Festlichkeiten der Weihnachtstage vorbei.

Für viele Musiker*innen ist die Adventszeit mit Weihnachten und dem Neujahr normalerweise die arbeitsintensivste Zeit mit unzähligen Konzerten vom Weihnachtsoratorium von J.S. Bach hin zu Mitternachtsmessen und verschiedenen Neujahrskonzerten, sehr gerne gespielt und gesungen auch Beethovens 9. Symphonie.

Doch dieses Jahr ist sehr still.

Als umso schöner empfand ich es, dass ich in einem Gottesdienst zu Weihnachten am 25.12. singen konnte und heute einige Lieder mit Orgel und Trompete aufnehmen durfte für einen weiteren Gottesdienst zum Silvester.

Eines der Gemeindelieder, das ich auch sang basierte auf dem Text von Dietrich Bonhoeffer (4.2.1904-9.4.1945):


»Von guten Mächten treu und still umgeben behütet und getröstet wunderbar, – so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr;

noch will das alte unsre Herzen quälen noch drückt uns böser Tage schwere Last, Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das Du uns geschaffen hast.

Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus Deiner guten und geliebten Hand.

Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, dann woll'n wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört Dir unser Leben ganz.

Laß warm und hell die Kerzen heute flammen die Du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen! Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so laß uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all Deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiß an jedem neuen Tag.«


Es ist bekannt, dass der Widerstandskämpfer und Theologe Bonhoeffer diesen Text am 19.12.1944 in Gefangenschaft verfasst hat im Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer. Es ist der letzte erhaltene, theologische Text von Bonhoeffer. Sein Glaube an Jesus Christus war selbst in diesen schwarzen Stunden ungebrochen. Er hat bis zum Schluss gekämpft. Er hätte durchaus die Möglichkeit gehabt sich dem NS-Regime zu entziehen. In den USA wurde ihm sogar ein theologischer Lehrstuhl angeboten, doch Bonhoeffer kehrte nach Deutschland zurück um in den Widerstand gegen die Diktatur, die Ungerechtigkeit, die Nazis zu gehen, mit allen Konsequenzen. Er sagte sinngemäss, dass wer das Schwert herausfordere, auch damit rechnen müsse, mit dem Schwert gerichtet zu werden. Er wurde gerichtet und starb durch erhängen, kein halbes Jahr nachdem er dieses Gedicht verfasst hat.

Seine Worte haben bis heute Bestand und zeugen von einem tiefen Vertrauen in eine höhere Macht. Selbst in der schwärzesten Zeit gibt es Licht und Hoffnung.

Die Altjahrswoche, wie wir in der Schweiz die Zeit zwischen den Jahren nennen, lädt ein das ausklingende Jahr zu überdenken. Was war schön, was war nicht schön? Vielleicht auch: Was habe ich gelernt?

Es ist für viele eine Zeit in eine spirituelle Einkehr unabhängig von Religion.

In früheren Zeiten wurde die Zeit ab dem 25. Dezember bis zum 6. Januar die Zeit der Rauhnächte genannt oder die Zwölften. Dabei wird davon ausgegangen, dass jede Nacht Bezug auf einen Monat im neuen Jahr hat, also die 1. Nacht bezieht sich auf den Januar, die zweite auf den Februar etc. In dieser Zeit wurden die Häuser und Ställe geräuchert mit Weihrauch und Gewürzen. Es wurden Ahnenaltäre errichtet um der Gestorbenen zu gedenken. Nach dem Anbruch der Nacht wurden die Häuser möglichst nicht mehr verlassen und schon gar nicht bei Sturm, weil da Frau Holla mit ihrem wilden Heer ihr über die Landen zog, oder in manchen Regionen auch Wotan mit seinem Heer...

In Rauhnächten solle man weder fremden Menschen noch fremden Tieren trauen. Es könnten Elfen, Alben oder Dämonen in anderer Gestalt sein, heisst es. In manchen Regionen verkleideten sich die Menschen zu furchterregenden Dämonen und zogen durch die Strassen in Prechtenszügen. Die Tradition der Rauhnächte hielt sich bis in die heutige Zeit und erlebte über die letzten Jahre eine Art Renaissance. Viele Menschen scheinen sich trotz Religionslosigkeit oder gerade deswegen nach einem inneren Kompass zu sehnen. Nach einer Spiritualität.

Über viele Jahrhunderte hat die Kirche die moralische Aufgabe für das Volk übernommen, im Deckmantel der Spiritualität. Wie wir heute wissen nicht uneigennützig:

Es wurden Kriege geführt im Namen Gottes, die 3 Hauptkreuzzüge zwischen 1095 und 1300 sind Zeugnisse davon. Sie dienten der Expansion des Glaubens und hatten nicht unerhebliche wirtschaftliche Zwecke. Es wurden unschuldige Menschen zu grausamen Toden verurteilt unter Anderem mit der Hexenverfolgung. Das Freikaufen der Sünde diente mit zur Bereicherung, der die Kirche im Mittelalter. Die Kirche verpachtete auch Ländereien und forderte den 10ten ein. So könnte ich die Liste der Institutionellen Verfehlungen bis in die heutige Zeit mühelos fortsetzten. Es hat vielmehr mit Menschlichkeit oder auch menschlichem Versagen zu tun, als mit Spiritualität. Dabei dürfen wir bei allem Negativen nicht vergessen, dass wir der Institution Kirche auch sehr vieles im kulturellen Bereich zu verdanken haben. Die Kirche war lange Zeit der wichtigste Auftraggeber für Architektur, Kunst und Musik und ein Konservator des Wissens mit bis in die heutige Zeit unschätzbar wertvollen Schriften und Büchern in Bibliotheken. Alleine die unzähligen historischen Bauwerke in Italien, den Petersdom eingeschlossen, mit seinen Gemälden und Statuen zeugen davon. Alle alten sakralen Bauwerke in Europa sind Beispiele einer. Michelangelo oder auch Leonardo Da Vinci haben viele Aufträge, die diese beiden Ausnahmekünstler bis heute auszeichnet, der Kirche zu verdanken. Unzählige Messen und Musikalische Kompositionen sind im Auftrag der Kirche entstanden. Das ganze musikalische System, wie wir es heute hier in der westlichen Welt kennen, findet seinen Ursprung in der Kirchenmusik durch die Reformation der lateinischen Kirchenliturgie von Papst Gregor dem Grossen, Ende des 6. Jahrhunderts. Anfangs wurden die Gregorianischenchoräle mündlich überliefert bevor in den Klöstern im 9. Jahrhundert die Neumenschrift entwickelt wurde aus der schlussendlich die heutige Notenschrift entstanden ist. Die Mehrstimmigkeit der Chorliteratur entstand im Messengesang in den Klöstern und entwickelte sich dort über verschiedene Schulen, eine davon war Notre Dame, weiter. Diese Klostermusik war der Grundstein und Ursprung der heutigen, vielfältigen Musiklandschaft der westlichen Welt. Damit meine ich nicht nur die klassische Musik, sondern Rock, Pop etc miteinbegriffen!

Religion und Musik waren immer miteinander verknüpft. Ich gehe sogar einen Schritt weiter und möchte behaupten, dass der Gesang in spirituellen Handlungen seinen Anfang fand. Dass zu allen Zeiten der Mensch bei Spirituellenzeremonien gesungen hat. Ein Beispiel aus alter Zeit ist König David. Er war ein grosser Musiker und Dichter. Wenn wir im Alten Testament seine Geschichte lesen, finden wir dabei unzählige Psalmen, die er geschrieben und auch vertont hat. Als er noch Hirte war, konnte er durch seinen Gesang und sein Harfenspiel den wahrscheinlich, nach heutiger Diagnose, manisch-depressiven Saul besänftigen und seine Stimmung positiv beeinflussen.

Es gibt keine Kultur in der keine Musik, kein Gesang vorkommt. Der Mensch besitzt eine angeborene Musikalität. Ich finde es ausserordentlich interessant zu sehen, wie sich die Musik in welcher Kultur entwickelt hat und welchen Stellenwert sie heute hat und in früheren Zeiten hatte. Bis heute haben sich mancherorts uralte Rituale erhalten, wo Heilgesänge ein wichtiger Bestandteil sind. Musik und Gesang half und hilft bis in die heutige Zeit um einfacher in Trance zu kommen.

Gesang und Musik war in unserer Menschheitsgeschichte schon immer wichtig und wird es auch in Zukunft bleiben.

Zusammen Musik zu machen und zu singen fördert auch den Gemeinschaftssinn.

Ich spüre das sehr stark in diesen besonderen Zeiten, wo keine öffentlichen Konzerte stattfinden dürfen, die Menschen nicht im Gottesdienst singen dürfen, keine Chorproben gestattet sind, wie wichtig Gesang und Musik ist.

Nach dem Präsenzgottesdienst am Weihnachtstag kam eine alte Frau zu mir und hat sich bedankt für meinen Gesang. Es war ihr anzusehen, dass mein Gesang sie bis tief ins Herz berührt hat und das bedeutet mir viel. Wir dürfen nicht vergessen WARUM wir singen und Musik machen. Ich glaube, wenn wir unsere Geschichte im Hintergrund behalten, dass Musik und Gesang aus dem Spirituellen heraus entstanden ist, haben wir auch eine andere Botschaft zu versenden. Wir Musiker und Sänger sind Vermittler dieser Kunst. Wir geben unseren Mitmenschen etwas mit, das bis in deren Seelen vordringen und vielleicht sogar Trost oder Heilung bringen kann. Es sollte dabei nicht nur um unseren Ruhm und Erfolg gehen, sondern darum, dass wir Mittler sind.

Mit der Recherche zu diesem Text über Dietrich Bonhoeffer, aber auch über den Ursprung der Musik, des Singens im Zusammenhang mit der Spiritualität ist mir dies noch deutlicher bewusst geworden. Wir müssen nicht zu einer Religion gehören um spirituell zu sein. Ich habe viele glaubende Menschen kennengelernt, die nicht einer Kirche oder Religion angehörten. Ich habe auch Menschen kennengelernt, die sich selber als Atheisten oder Agnostiker bezeichneten aber so lebten wie es eigentlich von religiösen Menschen zu erwarten wäre.

Ich glaube, was zu allen Zeiten wichtig war und bis in die heutige Zeit wichtig ist, dass wir den Kontakt zu unserem innersten Selbst nicht verlieren. Wenn wir das schaffen, können viele Krisen über unser Leben und unsere Gesellschaft fegen, wir werden uns dabei nicht verlieren, sondern gestärkt daraus hervorgehen.

Das klingt simpel und ist es eigentlich auch. Trotzdem empfinde ich es als eine grosse Herausforderung und Aufgabe in unser nach aussen gerichteten, sehr materiell orientierten und geprägten Gesellschaft den Blick nach innen zu richten, nicht zu verlieren und sogar zu stärken. Es gibt äusseren, vergänglichen Reichtum und es gibt den inneren Reichtum, den uns niemand wegnehmen kann.

In dem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Leser*innen einen guten Rutsch in ein neues, besseres Jahr mit viel Gesundheit, Glück und auch Zeit für sich selber!

Ich freue mich, wenn Sie mich auch in Zukunft als Leser*innen begleiten!








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